27 Zentimeter pure Tragkraft

Zu Besuch bei den wahren Autobahnbauern: Fahrspur aus Beton wächst täglich um 470 Meter
Schönberg Die zwischen Lübeck und Schönberg entstehende Ostseeautobahn A 20 gehört zu den meist beachteten Großbaustellen im Norden. Die wahren Spezialisten, die Erbauer der Fahrbahnen, haben nur noch wenige Tage Zeit, um ihr Werk zu vollenden.

Das Ungetüm ist schon von weitem zu erkennen. Lang ist die Kette der Muldenkipper, die unermüdlich frische Betonberge vor der sich langsam vorkämpfenden Walze abkippen. Mit drei Arbeitsbühnen, die hintereinander fahren, wird aus den von einem Bagger lose verteilten Beton eine massive und doch bewegliche Fahrbahn vom Feinsten. Es geht um das stabilste, was Straßenbauer in Deutschland zu bieten haben: die Fahrbahn einer Bundesautobahn. Und die soll nicht nur 30 Jahre bei zigtausenden Fahrzeugbewegungen pro Tag halten, sie muss im Zweifelsfall auch schwerste Lasten locker aushalten können.

Durchschnittlich um 470 Meter pro Tag wächst die 11,5 Meter breite und satte 27 Zentimeter hohe Betonbahn. Für den Abschnitt von der Landesgrenze bis Schönberg fehlen nicht einmal mehr vier Kilometer bis zur Fertigstellung.

Asphalt oder Beton - das ist bei den Schnellstraßen immer die Frage, beide Systeme haben ihre Vorteile. Im Falle der Strecke zwischen Schönberg und der Wakenitzbrücke hat die Ausschreibung den Bau einer Betonbahn ergeben. Vorteil: Sie hält länger. Nachteil: Wenn sie einmal kaputt ist, hilft keine Sanierung, sondern nur noch ein kompletter Austausch.

Bei einsetzendem Regen muss die Riesen-Betonmaschine aus drei Teilen mit dem Namen "Wirtgen" anhalten. Zuviel Wasser verdünnt den Beton und vor allem die Haltbarkeitswerte. Auf die muss vor allem Harald Fickert, Oberbauleiter und Vertreter des Bauherren DEGES auf der Baustelle, streng achten. Das tun auch die beauftragten Firmen. Der im extra aufgebauten Mischwerk angesetzte Beton wird dann auch durch zwei Labors unabhängig voneinander auf seine DIN-Werte geprüft. Noch wichtiger ist der genaue Blick auf das schier endlose Betonband. Denn die Fahrbahn zeigt sich bei genauer Betrachtung als ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, bei dem man leider auch viel falsch machen kann.

Eigentlich ist die Autobahn keine durchgehende Fahrbahn, sondern eine ziemlich perfekte Aneinanderreihung von Platten, die mit Dübeln und Ankern wie in einem Netzwerk verbunden sind. Denn alle fünf Meter bekommt die Fahrbahn einen Schlitz, 0,8 Millimeter stark. Der soll ein Reißen der Fahrbahn z.B. bei Frost verhindern. Normalfahrbahn, Überhol- und Standspur sind sowieso noch einmal längs getrennt. Die 27 Zentimeter Betonstärke, unterteilen sich in eine 20 Zentimeter starke Grundschicht, in der auch die Anker liegen und den "Rest".

Der ganze Beton wiederum liegt auf einem durchgehenden Fließ, der auf einer Frostschutzschicht ruht, noch einmal 58 Zentimeter stark. Die oberen 25 Zentimeter sind dabei mit 57 Kilogramm Zement pro Quadratmeter ausgefüllt worden, bilden praktisch den Unterbeton. Für die Oberfläche, auf der dann die Autos rollen, gibt es wieder Spezialmittel zum Glätten und auch eine vorgeschriebene Griffigkeit. Nichts aber auch gar nichts wird dem Zufall überlassen. Schließlich soll im Idealfall jahrzehntelang der Verkehr rollen können.

Stolze 12,3 Tonnen wiegt nur eine fünf Meter lange Platte einer Fahrbahn - insgesamt geht es um 330000 Quadratmeter Verkehrsfläche zwischen Schönberg und der Wakenitzbrücke. Macht allein für die Zuschlagstoffe fast 8000 große Lkw-Fuhren. Der Bau einer Autobahn und besonders der Fahrbahn ist dann auch eine logistische Meisterleistung. Öffentliche Straßen werden bei den zu bewältigenden Mengen möglichst geschont, an manchen Tagen wäre dann rund um Schönberg überhaupt kein Durchkommen mehr.

Oberbauleiter Fickert muss mit den beteiligten Firmen den Spagat zwischen Termindruck und Qualität hinbekommen. Denn wie jeder Beton muss auch der der Autobahn mindestens 28 Tage langsam aushärten, um die gewünschte Festigkeit zu erreichen. Andererseits soll im Dezember der Verkehr rollen.

Bis dahin ist noch sehr viel zu tun: u.a. die Bitumenfahrbahn der Brücken, die Leitplanken, die Lärmschutzwände und Begrünungen. Eine Fahrbahn allein macht eben noch keine Autobahn.

Mayk Pohle

Schweriner Volkszeitung,  10.7.04